Tuesday, October 30, 2012

Mircea Cantor. Kleiner Bericht einer Entdeckung


Ich habe Mircea Cantor erstmals in einem französischen Magazin entdeckt. Und was ich damals gesehen habe, hat mir gefallen. Der erste Eindruck: ein mit dem Finger geschriebener Satz auf einem beschlagenen Fenster: UNPREDICTEBLE FUTURE. Jeder Buchstabe hinterlässt eine Spur, während er verschwindet und sich auflöst.

 












Ich glaube, jeder von uns hat, mindestens einmal in seinem Leben, auf einem staubigen Auto oder auf einem staubigen Fenster geschrieben und dort eine kleine Nachricht hinterlassen. Eine Botschaft für jeden, der dort auch immer vorbeiläuft und sie entdeckt.

Das Werk trägt keine Unterschrift, oder vielleicht ist der Rechtschreibfehler eine Unterschrift. Eine verstohlene Schrift an der Wand (diesmal auf dem Fenster), die zu einem frechen Kind oder zu einem rebellischen Jungen gehört. Diese konzentrierte Form der Selbstdarstellung stellt die Frechheit und Redefreiheit der Anonymität dar und verweist, gleichzeitig, auf die rätselhafte Zukunft.

Life is what happens to you when you're busy making other plans(The Beatles)

Die verschwindenden Buchstaben werden zu einer Meditation über das geheimnisvolle Leben, über Glücksfälle und Vergänglichkeit. Cantors visuelles Kunstwerk bietet nicht nur die Aufnahme einer Handschrift an, sondern auch die Visualisierung eines Veränderungsprozesses: Wasserdampf wird zur Schrift, Schrift wird zu Wasser. Die Buchstaben stammen buchstäblichout of thin air, wie in Shakespeares Theaterstück. Und wir werden Zeugen eines fast alchemischen Prozesses: die Verkörperung des Sprechens in Wörten, die Kraft und Fragilität der Wörter.

Cantors Werk spielt auch mit Begriffen wiebuchstäblichundmetaphorischund spiegelt eine poetische Form der Redefreiheit wider. UNPREDICTEBLE FUTURE ist ein kurzes Gedicht über Überraschungen, Hoffnung und die Vorstellungskraft.

Mircea Cantor ist für seinen Film Deeparture bekannt, in dem ein Wolf und ein Hirsch zusammen in einer weißen Galerie gebracht wurden und ihnen die Freiheit gegeben wurde, einander anzuschauen, sich gegenseitig aufzuregen und zu beunruhigen, und auch unsere Sinne und unsere Erwartungen anzustacheln. Die Spannung stammt aus dieser Provokation der Instinkte, aus dieser Nebeneinanderstellung zweier Tiere, die in einer anderen alltäglichen Umgebung die Rolle des Jägers und der Beute spielen. Der Zuschauer wird Zeuge ihrer Blicke, ihres Atmens, ihrer Nervosität und ihrer Ruhe.

Der Film ist einfach, fast minimalistisch im Hinblick auf seine Ausdrucksmittel. Die Gegenüberstellung dieser Tiere ist eine Herausforderung des Todes, der Instinkte (brutale, gewalttätige aber angeborene Instinkte) und gleichzeitig eine Beschwörung des Unerwarteten. Die Handlungen und Prozesse folgen dabei nicht mehr einem vorhergegebenen Szenarium.

Mircea Cantor hat in seinem Lebenslauf geschrieben, dass erauf der Erdelebt und diese Worte haben mich an ein anderes von seinen Werken erinnert, ein Werk das er wieder mit unprätentiösen Mitteln geschaffen hat, nämlich mit einem eingefügten Buchstaben: Der Titel der französischen Zeitung Le Monde wird Les Mondes. Die Kritiker betrachten diess als ein Statement gegen Globalisierung; für mich ist dies vielmehr ein kleines Freiheitsmanifest, ein Spiel (anscheinend einfach) mit dem Marker und den Buchstaben: der Kind-Künstler und der Rebell-Künstler spielen mit der Welt, korrigieren und ergänzen die Welt. Das Spielzeug des Künstlers (die Welt, le monde) wird jetzt eine Menge von Spielzeugen (des mondes) sein. Wir finden eine Dadaistische Grundhaltung in diesem Werk, die zum spielerischen und unsinnigen Anfang der Moderne zurückkehrt.

Das Video The Landscape is Changing zeigt Demonstranten, die Spiegel statt Banner und Slogane tragen. In ihren Spiegeln sieht man, wie sich die Umgebung während des Marsches verändert. Wie Mircea Cantor selbst sagt, interessiert er sich nicht für ein globale, sonder für eine universale Sprache.

Der Protest findet in einer unbekannten Stadt statt, es gibt keine Beschwerdeschriften und keine Wünsche, nur die Menschen und die gespiegelte Welt, die sie selbst verändern. Das Bild (die Spiegelung, das Video selbst) sind die ausgewählten Vermittler, die das enge Verhältnis zwischen uns und der Welt bestätigen.

Obwohl der Titel der letzte ist (The Title is the Last Thing, Philadelphia Museum of Art, 2006), sind die Titel von Cantors Werke sehr vielsagend: Ciel Variable (Frac, Champagne-Ardenne, Reims, 2007), Born to be Burnt (GAMeC, Bergamo, 2006). Werke wie The Second Step und Double-Heads Matches erzeugen gute Laune: ein Streichholz, das an beiden Enden brennen kann, ist nicht nur ein Zeichen für das gefährliche Handeln unserer Welt, sondern auch ein Zeichen, dass die Welt wiedererfunden werden kann. Die Ambiguität der Mitteilung macht den Charme dieses Werkes aus.

Der zweite Schritt auf dem Mond, sei er Armstrongs zweiter Schritt, den Cantors Blick aus der Anonymität herausgenommen hat, oder der Schritt eines anderen auf dem Mond gelandeten Astronaut, ist ein frischer, ironischer, erholender und hoffnungsvoller Verweis auf unsere offene Welt.

Mircea Cantors Kunstwerke besitzen auch eine humorvolle Ebene: in den gegenwärtigen Diskurs über Globalisierung fügt er mit einem subtilen Lächeln ein: "J'entends beaucoup ce discours officiel, de gauche, sur les peripheries. Berlin, Los Angeles... Moi-meme, je suis venu habiter a Paris pour vivre a la peripherie de la Roumanie. C'est ma maniere d'avoir une distance avec tout" (Beaux Arts, No.275, Mai 2007). Das künstlerische Credo eines exilierten freien Mannes, derauf der Erdelebt.

Text erstmals 2008 auf Rumänisch erschienen: